Tagebuch Iris
Kanada: Von Süd nach Nord...
Banff- und Jasper-Nationalpark
Der peitschende Regen klatscht an die beschlagene Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer arbeiten wie verrückt und können dennoch nur wenig Sicht in die stockdunkle stürmische Nacht bringen.
Ich klammere mich ans immer wieder ausbrechende Lenkrad und versuche, Kermit einigermassen auf der Spur zu halten. Im Rückspiegel sehe ich Tom's blonden Haarschopf aus dem warmen Schlafsack ragen. Er ruht sich gerade, so gut es eben bei diesem friedlichen Wetter geht, für seine Fahrschicht aus.
«Na endlich, da seid Ihr ja! Wänd er en Kafi?», begrüssen uns Monika und Marcel, unsere Freunde aus der Schweiz, auf dem verabredeten Camping kurz vor den Toren des Banff-Nationalparks.
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Kicking Horse
Die ersten gemeinsamen Tage verbringen wir am mächtig rauschenden Kicking-Horse-River unter grünen Tannenwipfeln, gekrönt von weiss-gehaubten Bergspitzen: Im Kicking-Horse-Campground.
Tom und Marcello biken zum türkisblauen Moraine-Lake, Monika und ich liegen im weichen warmen Gras und lesen, umgeben von pfeifenden eifrig-gierigen Erdhörnchen - sie haben unsere Kekse gerochen und werden sehr anhänglich. Dieser Campingplatz ist selbst-registrierend, das heisst man sucht sich einen schönen Platz, schreibt die Platznummer, die Autonummer und wie lange man zu bleiben gedenkt auf eine Karte und steckt sie zusammen mit dem entsprechenden Geldbetrag in einem Couvert in den Briefkasten.
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Wildwasserfahrt
«Big hold on!» - eine riesige gischtweisse Welle schwappt über uns und das eisigkalte Wasser rinnt in den Nacken hinunter. Wie die Wangen rosig glühen! Wir paddeln wie wild (daher wahrscheinlich der Name), um die vor uns brodelnden Stromschnellen einigermassen elegant zu überwinden. Sie heissen «You ain't seen nothing yet» (~ «Du hast noch überhaupt nichts (derartiges) gesehen»). Das Adrenalin brodelt eifrig mit.
Hoch zu Pferd am Lake Louise
Wir schaukeln in einer Reihe auf den breiten Rücken ausgedienter Kavallerie-Pferde am Ufer des Lake Louise entlang. Das noch von einzelnen Eisschollen geprenkelte Wasser glitzert türkisblau zwischen den Tannen hervor. Jetzt, Anfang Juni, ist es noch ziemlich früh im Jahr. Die Wege in die Berge sind noch voller Schnee und Eis. Nur ein paar vorwitzige Blumen strecken die Köpfe aus dem hartgefrorenen Boden am Wegesrand.
Steifbeinig staksen wir fröstelnd zum Auto zurück, um uns bei einer heissen Tasse Tee und einem Jass aufzuwärmen. Das Jassen ist überhaupt das unterhaltsamste und fleissig ausgeübte Regenwetter-Programm solange wir noch zu viert sind. Gschtoche Bock!
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Kanufahrt auf dem Bow Lake
«Jetzt rechts paddeln, nein stärker - links, links! Aber gopfritschtutz so gib Dir doch etwas Mühe!» Thomas und ich üben unseren Teamgeist beim Kanufahren in der Bow-Lake-Gegend. Monika und Marcel haben sich scheinbar schon längst zusammengerauft. Sie sind uns weit voraus an der Fluss-Biegung.
Keuchend ziehen wir das Kanu durch die Uferböschung an Land, um die Bahnlinie zum See hin zu überqueren. Wir müssen die Abkürzung nehmen, weil eine Elchkuh Junge geworfen hat. Diese Tiere können sehr gefährlich werden, ahnen sie eine Bedrohung für ihre Kinder und schrecken auch vor Verfolgung nicht zurück.
Es ist sehr friedlich, so durch den stillen See zu gleiten. Rhytmisch platschen die Paddel in das vom Torf rostbraune seichte Gewässer. Weisskopf-Adler ziehen hoch oben ruhig ihre weiten Kreise.
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Takkakaw & Loughing Falls
Wir besuchen noch die Takkakaw-Falls, welche einen freien Fall von über 300 Meter darstellen; und folgen dem Wasserlauf aufwärts zu den Laughing-Falls. Diese stellen sich als richtige Lach-Kaskaden vor und hüpfen von einem Felsvorsprung zum anderen spritzend herunter.
Der Weg im Johnston-Canyon führt uns durch eine eindrucksvolle düstere Schlucht an einem kleinen Fluss entlang. Dieser schlängelt und quetscht und spritzt durch ausgewaschene Felsbecken, enge Spalten und über scharfgebrochene Felskanten hinunter, dass es einem durch alle Sinne braust und brodelt.
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Abschied
Schon ist die gemeinsame Reisezeit um. Es gilt Abschied zu nehmen für die nächsten paar Monate. Im Ofen brutzelt bereits der Rindsbraten und es duftet rings um Kermit verführerisch nach Rotweinsauce und dem Knoblauch vom Kartoffelgratin. Wir stossen auf unsere gemeinsame Ferienzeit an und beschliessen sie mit einem letzten Jass für eine lange Zeit...
Inside Passage
Wieder brausen wir des nachts durch die Landschaft Richtung Schiffs-Steg in Prince Rupert, denn wir haben den Abfahrtstermin später vermutet. Diesmal ist die Nacht wunderbar lind und ziemlich hell, sind wir doch schon relativ weit im Norden.
Wir müssen die Fahrt von Prince Rupert nach Skagway, die sogenannte Inside-Passage, neu buchen. Unser Reisebüro - nie wieder von einem Dritten abhängig sein! - hat die Zahlung zu spät überwiesen und uns trotzdem eine Buchungs-Bestätigung geschickt. Doch wir haben ja Zeit.
So führt uns die Fahrt erst mal nach Wrangell, einer idyllisch einsam gelegenen Insel. Hier existiert die einzige Kommune Alaskas, welche je unter Russischer, Britischer und Amerikanischer regiert worden ist. Es regnet. Der zweite Halt ist in Juneau, der Hauptstadt Alaskas. Hierher führt keine Strasse des Festlandes, doch ist es bereits etwas touristischer.
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Wir machen eine Schaufensterbesichtigung. Aus Einkäufen wird nichts: Erstens haben wir keinen Platz für Souvenirs, zweitens kein Geld - Essen ist wichtiger. Interessant, nicht wahr, wie sich Schwerpunkte bilden. Sind wir Touristen?
Skagway - gold, gold, gold - the goldrush is on!
Skagway war die Pforte für alle Goldsucher Ende neunzehntes Jahrhundert. Zu Tausenden strömten sie aus allen Richtungen nach Skagway, um über den berühmten Whitepass nach Dawson City zu gelangen.
Eine der berühmtesten Szenen der Goldrauschzeit war die Überquerung des Chilkoot-Passes auf dem Weg nach Dawson City. Dieser 3'739 Fuss hohe Pass wurde oft dem zwar leichteren, doch etwas längeren Whitepass vorgezogen, obgleich die ersten 33 Meilen des 500 Meilen langen Fussmarsches sehr steil und gefährlich waren. Jedermann musste damit rechnen, von seinen mitgeschleppten Vorräten 1-2 Jahre überleben zu müssen, denn sie hatten keine Ahnung, was sie nach ihrer langen und mühseligen Reise in Dawson erwarten würde.
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Thomas zeigt auf ein Schild: «In einer Stunde beginnt hier eine Theatervorführung über die wilden Zeiten Skagways - komm wir gehen hin».
Die Zuschauer schieben sich durch den engen Eingang des «Arctic Brotherhood»-Gebäudes in den etwas muffigen Theater-Saal, äh...Bruderschafts-Saal. Hier seien die wahren Freundschaften geschlossen worden, donnert der Schauspieler und zupft an seiner Gitarre zur Unterstreichung seiner stimm-gewaltigen Erzählungen.
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Wir lassen uns mittragen von der Stimmung alter Zeiten und frieren in dürftig zusammengenähten Stoffzelten der ersten Skagway-Zeit, zittern vor dem berüchtigten Soapy-Smith-Bandit und beobachten staunend, wie tausende und abertausende von unerschrockenen und vor Goldgier hart gewordenen Menschen ihre Last an Lebensmitteln für zwei Jahre den steilen Whitepass hinaufschleppen. Wir freuen uns über die Fertigstellung der ersten Eisenbahnlinie über diesen Pass und hören die Lokomotive dampfen und fauchen.
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Dawson City
Über den überraschend wüstenähnlichen Whitepass gelangen wir nach Whitehorse und schliesslich nach Dawson City.
Hier oben sind keine Strassen mehr asphaltiert. Die Erde ist in den drei Sommermonaten nur bis zu 30 cm Tiefe aufgetaut und darunter beinhart gefroren. Wegen dieser Permafrost-Böden, die durch den extremen Sommer-Winter-Wechsel, heftige Bewegungen und Verschiebungen erfahren, sind die allermeisten Verbindungsstrassen hier im Norden nur aus Schotter. Wir haben auch Bekanntschaft mit ein paar wenigen Asphaltstrassen gemacht, doch habe ich heute noch Probleme mit meinen strapazierten Nackenwirbeln.
Durch die permanenten Bodenverschiebungen entstehen Risse, riesige Löcher und unerwartete Wellen im Asphalt. Kermit hat bei solchen Gelegenheiten richtige Froschsprünge mit allen vier Rädern vollführt, und so seinem Namen alle Ehre gemacht...
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Dawson ist eine lebendige Goldgräber-Stadt. Noch immer wird hier nach Gold geschürft und überhaupt nach alter Sitte gelebt. Das quirlige Spielkasino und die schummrigen Bars werden nicht nur von Touristen fleissig besucht. Es hat hier noch ganz schiefe Gestalten herumhängen. Ihre Claims (Bodenbesitz) verteidigen sie verbissen mit allerlei Abschreckungs-Massnahmen, wie Totenkopf-Flaggen, Gewehrschüssen (oder wenigstens deren Androhung), Keep Out-Schildern.
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Ausserhalb stehen angerostete Gold-Dredges, d.h. schwimmende Gold-Schaufel-Förder-Sortier-Maschinen, inmitten einer völlig umgegrabenen wüsten Landschaft aus Geröllsteinen und Wasser-Rinnsalen, herum. Dies sind riesenhafte Maschinen in Hausgrösse. Man kann darin herumwandern und allerhand ausgeklügelte Maschinerien bewundern. Sie sind zur rationellen Gold-Gewinnung entwickelt worden, und werden auch heute noch ab und zu eingesetzt.
Die Gold-Dredge
Die Dredge liegt schwimmend in seichtem Gewässer. Der See, in dem die Dredge liegt, wird mit der Zeit immer kleiner, da der Creek durch die Ablagerungen der Dredge laufend aufgestaut wird. Über die riesigen Kettenschaufeln wird das vorzu mit Feuer aufgetaute Geröll auf einem Band ins Innere der Dredge gefördert. Hier wird das Gold nun das erste Mal aus dem Gestein gewaschen. Das Wasser stammt aus dem Creek und wird auch wieder dahin zurückgeleitet. Das ausgeschiedene Geröll wird nochmals nach Gewicht und Grösse sortiert, indem es durch eine Trommel geführt wird.
Das grobe Gestein wird gleich wieder per Förderband nach draussen befördert. Diese bilden dann auch die enormen Geröllhalden, welche den Weg jeder Dredge säumen. Der nun verbleibende Kies und Schlamm wird nun über rüttelnde Holzbahnen geführt. Das schwere Gold sinkt zum Boden und verfängt sich schlussendlich in den Fasermatten. Von Zeit zu Zeit werden diese Matten ausgewaschen. Das Gold muss jedoch noch weiter gereinigt werden. Es wird nach «Bear Creek» gebracht, wo sie spezielle Maschinen und Geräte zu diesem Zweck haben, um das Gold auch zu kompakten Goldbarren einzuschmelzen.
In Dawson bleiben wir volle fünf Tage. Wir machen im Casino zum ersten Mal mit dem «Blackjack», aber auch mit den kunterbunten feuchtfröhlichen Tanzshows Bekanntschaft. Wir schauen, staunen, und lassen uns von der quirligen Menge durch die klingelnde, lachende, verbissene, angeheiterte Spiel-Halle treiben.
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Top of the World Highway
Die staubige Schotterstrasse windet sich gemächlich über sanfte grüne Hügelkuppen hinauf und hinunter und hinauf. Egal ob wir uns gerade oben oder unten befinden, immer geniessen wir eine sagenhafte Aussicht über die endlose wellige Yukon-Landschaft. Das saftige Satt-Grün gleitet schimmernd in rauchiges Tannen-Grün, nebliges Blau-Grün und mündet im Übergang zum Königs-Blau des Himmels.
Die sterbende Sonne legt einen orange-goldenen Schleier über Wiesen und Tannen. Ich kann die Gedanken ungehindert, ohne an eine physische Barriere zu stossen, frei schweben und weit schweifen lassen. Auch die Zeit ist nicht mehr wichtig. Wichtig ist, was man sieht und fühlt.
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Was ist mir wichtig? Ich möchte mich aus der starren Gewohnheit und den erlernten Regeln lösen und mich einmal ganz objektiv betrachten. Warum lebe ich so wie ich lebe? Gefällt es mir? Was gefällt mir nicht und wie kann ich es ändern? «Oh! Hier ist eine schöne Aussicht! Komm, hier bleiben wir heute Nacht. Ich habe Lust auf Pilz-Risotto. Ist das O.K.?»
Die Grenze zu Alaska
Schon von Weitem sehen wir den einsamen Gebäudekomplex aus der Landschaft ragen. Kein Problem, die Visa sind immer noch gültig.
Ein Schild begrüsst uns: «Welcome to Alaska» Weiterlesen (in Kürze verfügbar):
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